Wahrgenommenes Schulklima und schulisches Wohlbefinden von LGBTIQ+ Schüler*innen in der Deutschschweiz

Projektleitung

Ad Ott, M.A.

Disziplin

Erziehungswissenschaft

Projekttitel

Wahrgenommenes Schulklima und schulisches Wohlbefinden von LGBTIQ+ Schüler*innen in der Deutschschweiz

Abstract

In den letzten Jahren sind für die Schweiz Entwicklungen festzustellen, welche die allmählich breitere gesellschaftliche Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt verdeutlichen, wie die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare im Jahr 2021 oder die Möglichkeit seit 2022, den – nach wie vor binär gehaltenen – Geschlechtseintrag unbürokratisch ändern zu können. Gleichzeitig werden Menschen außerhalb der cis-heterosexuellen Norm in der Schweiz noch immer im gesellschaftlich Abweichenden (vgl. Oldemeier 2017) positioniert; Hinweise darauf liefern steigende Meldungen von LGBTIQ+ feindlichen Angriffen und Diskriminierungen (LGBTIQ Helpline 2023).

Klenk (2023: 23) markiert diesen „transitiven Gesellschaftszustand des sowohl als auch“ mit dem Begriff der Post-Heteronormativität, der mit der öffentlichen Schule als Stellvertreterin für Werte und Normen der Gesellschaft unmittelbar verknüpft ist. Die Schule fungiert nicht mehr nur als Lern-, sondern verstärkt auch als Lebensraum von Jugendlichen und ist damit für eine psychosoziale Entwicklung von großer Bedeutung (Harring/Rohlfs/Gläser-Zikuda 2022). Es gibt aber deutliche Hinweise, dass sie durch die Reproduktion normativer heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit die Marginalisierung von Jugendlichen fördert, welche diesen Normen nicht entsprechen können oder wollen. Die häufig unter dem Akronym LGBTIQ+ zusammengefassten Lebensrealitäten und Anliegen sind dabei nicht für alle Jugendlichen deckungsgleich, da sie aufgrund mehrerer, sich überschneidender Identitäten und zugeschriebener Positionen und damit verbundenen Machtstrukturen einzigartige Erfahrungen mit Privilegien und Benachteiligungen machen (Rosenthal 2016). Forschungserkenntnisse, wie LGBTIQ+ Schüler*innen in der Schweiz ihren Schulalltag wahrnehmen, sind rar und fokussieren häufig nur auf einzelne Schulklimavariablen. Das vorliegende Dissertationsprojekt soll deswegen untersuchen, (1) wie LGBTIQ+ Schüler*innen ihr LGBTIQ+ spezifisches Schulklima und ihr schulisches Wohlbefinden wahrnehmen und (2) wie diese zwei Variablen miteinander verknüpft sind. Theoretische Grundlage ist dabei eine adaptierte Version des Minoritätenstressmodells (Meyer 2003), in welchem Schulklimavariablen als Stress- bzw. Resilienzfaktoren operationalisiert und mit schulischen Wohlbefindensfaktoren verknüpft werden.

Die Methoden kombinieren quantitative und qualitative Herangehensweisen: Der quantitative Teil bestand aus einer anonymen Online-Umfrage, die sich an LGBTQ+-Schüler*innen im Alter von 14 bis 19 Jahren richtete. Die Umfrage wurde über Jugendorganisationen und soziale Medien beworben. Zu den Datenerhebungsinstrumenten gehörten der LGBTQ+ National School Climate Survey, der Brief Symptom Inventory (BSI) und ein Fragebogen zum schulischen Wohlbefinden; 567 LGBTQ+-Schüler*innen nahmen teil. Erste Ergebnisse zeigen auf, dass das Schulklima je nach Selbstbezeichnungen und rassistischem Diskriminierungsrisiko unterschiedlich wahrgenommen wird. Insbesondere Teilnehmende mit trans und nicht-binären Selbstbezeichnungen berichten, verglichen mit cis weiblichen Teilnehmenden, von einem höheren Unwohlsein, tieferer sozialer Unterstützung und häufigeren institutionellen Diskriminierungen. Je höher das rassistische Diskriminierungsrisiko der Teilnehmenden, desto häufiger berichten sie von Belästigungen und Übergriffen.

Der qualitative Teil des Dissertationsprojekts ist bisher in der Planungsphase und soll die quantitativen Ergebnisse vertiefen und erweitern. Die bisher eher «schadenszentrierte» Perspektive des quantitativen Teils soll durch Interviews von LGBTIQ+ Schüler*innen mit Fokus auf Deutungen, Strategien und Wünschen hinsichtlich Schulklima und Wohlbefinden ergänzt werden.

Supervision

Prof.in Dr.in Tina Hascher (Universität Bern)

Kontakt

ad.ott@students.unibe.ch