Projektleitung
Anna Baumann, M.A.
Disziplin
Geschichte
Projekttitel
Das Büro zuhause? Telearbeit, Geschlecht und digitaler Wandel in der Schweiz seit den 1980er Jahren
Abstract
«Telearbeit» stand in den 1980er Jahren synonym für die Arbeit der Zukunft. Bis zum Homeoffice, das sich seit der Coronapandemie als Ergänzung zum fixen Arbeitsplatz etabliert hat, war es allerdings eine diskontinuierliche Entwicklung. Das Dissertationsprojekt erforscht die Anfänge des Homeoffice und untersucht dafür die Telearbeit in der Schweiz aus geschlechter‐ und raumhistorischer Perspektive. Fokussiert werden die 1980er und 1990er Jahre, als die mittels Heimcomputer und telekommunikativer Netzwerke möglich werdende Dezentralisierung von Büroarbeit Gegenstand kontroverser gesellschaftspolitischer Debatten war. Die Untersuchung trägt dazu bei, die Digitalisierung als soziale und wirtschaftliche Transformationsphase hin zur Gegenwart zu historisieren und Besonderheiten des Schweizer Kontexts zu beleuchten. Ich gehe der Hypothese nach, dass durch die auf Basis der digitalen Kommunikationstechnologien möglich gewordene Dezentralisierung von Büroarbeit die gesellschaftliche, geschlechtsspezifische räumliche Arbeitsorganisation neu verhandelt wurde. Dafür analysiere ich das Gendering der Telearbeit – einerseits wissensgeschichtlich als stark diskursiv geprägtes Phänomen, andererseits sozial‐ und wirtschaftsgeschichtlich als realisierte Arbeitsform.
Den theoretischen Ausgangspunkt bildet die Feststellung, dass Arbeiten und Räume gegendert sind, diesem Gendering gesellschaftliche Funktionalität zukommt und das Gendering historisch wandelbar ist. So wurden etwa Formen des Arbeitens zuhause (bezahlt und unbezahlt) aufgrund der Zuweisung der privaten Sphäre in den Zuständigkeitsbereich von Frauen als typisch weibliche Tätigkeit angesehen. Aber auch im Büro dominierte eine geschlechtsspezifische Arbeitsorganisation, die ganze Berufs- und Tätigkeitsbereiche aber auch Arbeitsgeräte wie die Schreibmaschine nach Geschlecht zuwies. Die Telearbeit betraf somit die geschlechtsspezifische Arbeitsorganisation in mehrfacher Weise und ist in der Schweiz in einer Zeit der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen zu verorten.
Folgende Forschungsfragen stehen im Zentrum: Wer arbeitete tele und in welchen Räumen? Inwiefern wurde Telearbeit vergeschlechtlicht und welche Geschlechternormen wurden reproduziert? Welche Rolle spielten Raumkonzepte bei der Telearbeit und wie waren diese vergeschlechtlicht? Wieso wurde Telearbeit trotz zeitgenössischer Euphorie kaum umgesetzt? Um die Forschungsfragen zu beantworten, analysiert das Projekt Telearbeit zum einen in einer wissensgeschichtlichen Perspektive als transnational verhandelte Zukunftsvision. Zum anderen wird Telearbeit anhand von drei historischen Beispielen in sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive als Arbeitsform in der Schweiz untersucht.
Das Projekt umfasst drei akteursorientierte Fallstudien. Die erste widmet sich der Wissenschaft und dem Staat als Treiber der Telearbeit und untersucht die Telearbeit als Raumfrage in Forschungs- und Pilotprojekten. Die zweite konzentriert sich auf die Verbandspolitik, wobei die Telearbeit als Gleichstellungsfrage in den Blick rückt. Die dritte fragt danach, ob die «Teleheimarbeit» als Sonderfall zu betrachten sei, und nimmt das Problem von Geschlechterräumen auf. Bei jeder Fallstudie werden die jeweils relevanten Akteure (und die entsprechenden Archivbestände) berücksichtigt: der Bund, die PTT und die ETH/EPFL (1); die Berufsverbände und Gewerkschaften, Frauenorganisationen und Gleichstellungsinstitutionen, aber auch Unternehmens- und Arbeitgeberverbände (2); sowie der Schweizerische Verband für Heimarbeit (SVH) und dessen Zentralstelle (3). Ergänzt wird das archivalische Quellenmaterial mit Publikationen zum Thema, Sach- und Zeitungsartikeldokumentationen sowie audiovisuellen Quellen (v.a. Fernsehbeiträge).
Disziplinär ist das Forschungsvorhaben in der Geschlechtergeschichte der Digitalisierung und der Arbeit verortet und kommt in diesen Fachgebieten formulierten Forschungsdesideraten nach. Das Projekt begründet die historische Forschung zu Telearbeit in der Schweiz und leistet historische Grundlagenarbeit erstens zur Geschichte des Homeoffice und zweitens zum Komplex (digitale) Technologien, Arbeit und Geschlecht in der jüngsten Vergangenheit.
Supervision
Prof. Dr. Silvia Berger Ziauddin (Universität Bern) und Prof. Dr. Monika Dommann (Universität Zürich)
Kontakt
anna.baumann@unibe.ch