Hugentobler, Manuela

Graduate School

Kriminalität und Ungleichheit in der Stadt: Die Berner Justizpraxis im 17. Jahrhundert

Projektleitung

Tina Adam

Abstract

Die städtische Gesellschaft der Frühen Neuzeit war heterogen und konfliktträchtig. Die Wechselwirkungen von öffentlicher Ordnung, Sicherheit und Frieden stellten eine zentrale Herausforderung für vormoderne Städte dar. Dementsprechend hat sich die Erforschung von Kriminalität im urbanen Setting innerhalb der Historischen Kriminalitätsforschung als sehr fruchtbar erwiesen. Allerdings setzt internationale Forschung ihr Hauptaugenmerk auf europäische Metropolen wie Paris, London oder Amsterdam; deutschsprachige Untersuchungen konzentrieren sich auf vergleichsweise mittelgrosse Städte wie Köln oder Frankfurt. Hingegen gibt es kaum Studien zu Städtegebilden in weniger urbanisierten und ländlich geprägten Gebieten. Dabei ist das Desiderat für die Alte Eidgenossenschaft besonders augenscheinlich. Mit der Fokussierung auf die Stadtrepublik Bern im 17. Jahrhundert setzt das Forschungsvorhaben neue räumliche und zeitliche Akzente.

Der innovative Impuls des Projekts liegt der Frage nach der Bedeutung von sozialen Ungleichheiten in der vormodernen Justiz. Ziel ist es, das Spannungsverhältnis zwischen der komplexen Lebenswelt und obrigkeitlichen Gerichtsbarkeit auf Kriminalität und Ungleichheit herauszuarbeiten. Dies unter der Prämisse, dass das Geschehen vor Gericht als relevanter Faktor für die Konstruktion von Ungleichheiten zu verstehen ist. Im Zentrum steht die Analyse der Rechtspraxis von Berner Gerichten mit Fokus auf das Aushandeln von Inklusion und Exklusion delinquenter Akteur:innen. Grundsätzlich wird dabei sowohl die Stadtgesellschaft als auch das Gericht als Räume von Kommunikation und sozialer Interaktion verstanden.

Anhand von Gerichtsakten sollen Mechanismen der Privilegierung und Diskriminierung analysiert und Rückschlüsse auf die Produktion und Reproduktion von sozialen Ungleichheiten gezogen werden. Wie funktionierten Praktiken des ‘doing inequality’? Welche Bedeutung hatten diese im Gerichtsverfahren und in der Urteilspraxis? Die Hauptquellen der Untersuchung bilden die Turmbücher der Stadt Bern, welche die Verhörprotokolle und Urteile der Strafgerichtsbarkeit enthalten. Um die Perspektive auf deviantes Handeln zu erweitern und Ergebnisse besser in die internationale Forschung einbetten zu können, werden zudem die Quellen der Ehe-und Sittengerichtsbarkeit sowie normative Texte und flankierend weitere Akten aus dem Bereich Justiz und Verwaltung hinzugezogen.

 

Die Analyse basiert auf einem mikrohistorischen, akteur:innenzentrierten Ansatz. Sie setzt auf eine Verbindung von qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden und wendet die Konzepte ‘Normkonkurrenz’ (von Thiessen 2015) und ‘Historische Intersektionsanalyse’ (Bähr/Kühnel 2018) an.

Supervision

Prof. Dr. Joachim Eibach

Disziplin

Geschichte